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Karwendelmarsch 2017
28.08.2017 19:47

Alle guten Dinge sind drei? - Der Karwendelkiller kehrt zurück!

Ich erinnere mich, als würde ich gerade diese Situation durchleben. Es war der Karwendelmarsch 2016 nach dem Hochleger bei der Gramaialm. Willi Pernold, mein gämsenartiger Laufpartner bei diesem Trail, bremste meinen Übermut, als ich dabei war, die letzten Kilometer ins Ziel im Laufschritt zu absolvieren. "Du hast Dich bereits verbessert. Heb dir etwas für das kommende Jahr auf." sagte er.
In gewisser Weise hatte er ja nicht unrecht, denn ich war zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Stunde schneller als bei meinem ersten Antreten im Jahr 2015. Doch als ich damals das Karwendel verlies, versprach ich mir selbst, in diesem Jahr würde ich meine Bestzeit von 11 Stunden und 21 Minuten ganz klar unterbieten bzw. pulverisieren.

Es kam aber anders als erwartet. Am 16. Juli nahm ich am Großglockner Berglauf teil. Davor hatte ich 3,5 Monate auf diese Monsteraufgabe hingearbeitet. Und dieser Berglauf hat mich wahrlich ausgezehrt und geschwächt. Und keine zwei Wochen später fing ich mir einen unangenehmen und kräfteraubenden Grippeinfekt ein, der mich endgültig wieder auf den Boden zurückwarf. 
Ich bin ja kein Profisportler. Ich trainiere zwar und bewege mich so gut ich kann, aber für solche intensiven Events wie den Karwendelmarsch muss ich einfach hinarbeiten und in Form sein, wenn ich eine Zeit von unter 11 Stunden anpeile. Das ist der Rahmen, in dem ich mich bei bester Kondition bewegen kann. Nun schmolz der Infekt alle meine Kraftreserven weg. Und das nur drei Wochen vor dem Karwendelmarsch. *prima*

Die Enttäuschung war zunächst schon recht groß, denn bislang definierte ich meine sportlichen Erfolge durch Leistungssteigerung. Und mir war nun klar, ohne Topform gibt es keinen neuen persönlichen Streckenrekord für mich. Es wäre utopisch gewesen, genau das in Angriff zu nehmen. Vertraute Personen rieten mir gar, nicht zu starten. Das käme zu früh und wär nicht unbedingt förderlich für die Genesung und den Wiedereinstieg ins Training.
Und hätte ich diese Reise ganz alleine antreten müssen, wer weis ob ich dann nicht wirklich meine Teilnahme abgesagt hätte. Nun, aber das Entscheidende ist aber nun mal "Ich bin nicht alleine".

Eine Gruppe, bestehend aus Freunden sowie Bekannten aus der Lauf-, Walking-, und Trailsszene brach mit mir in den Westesn Österreichs auf, um am Karwendelmarsch teilzunehmen. Und diese tolle Crew, mit deren einzelnen Personen ich schon so einiges durchlebt hatte, war maßgeblich daran beteiligt, dass ich meine Motivation wieder zurück erlangt hatte. Es geht nicht immer darum der Schnellste zu sein. Da gibt es eben auch ganz andere Werte, die oftmals viel wertvoller sind als ein Streckenrekord. Aber das sollte ich im Laufe dieses Wochenendes noch erfahren.

Die Anreise mit der Crew

Am Vortag des Marschs werde ich um 7 Uhr morgens von Marion und Berndt mit dem Auto abgeholt. Bei einer kleinen Frühstücksrast an einer Raststation, treffen wir auf Emil und Denise, die ebenfalls mit dem Auto unterwegs sind. Alle vier werden ihr Quartier in Seefeld, nahe Scharnitz, beziehen. 
Nach einer kleinen Stärkung fahren wir nun weiter, und machen erst halt bei der Raststation am Mondsee. Dort wartet die nächste Energiezufuhr. Danach wird Marions Idee, mich schon vorher bei meinem Quartier in Pertisau abzusetzen, in die Tat umgesetzt. Meine Startnummer wird freundlicherweise von meinen Freunden ausgefasst. Danke schön!

So habe ich noch die Gelegenheit, einen gemütlichen Nachmittagsspaziergang durch Pertisau am Achensee zu machen, ehe ich mich gegen 18 Uhr langsam zur Ruhe begebe. Der Akku muss schließlich am nächsten Tag voll sein. Meine Freunde treffen auf der anderen Seite des Karwendels noch auf Karin. Ursula und ihr Mann, ebenfalls Bekannte meiner Crew, waren zwar ebenfalls in Pertisau untergebracht, sollte ich aber erst nach dem Bewerb für einen netten Plausch antreffen.

Die Karwendel-Avengers brechen auf 

Selfie bei der Raststation Mondsee

Vor dem Bewerb...

Wie in den Jahren zuvor rappelt um 3 Uhr morgens der Wecker. Ich habe seit ca. 19 Uhr des Vortags geruht und fühle mich richtig gut. Wenn ich daran denke, wie nervös ich damals bei meinem ersten Antritt war. Ich konnte kaum schlafen. Seit dem Vorjahr und auch heute bin ich nach dem Aufstehen ganz entspannt. Frühstück habe ich mir schon am Vortag besorgt. Und so packe ich alles Notwendige in meinen Rucksack und mache mich auf dem Weg zu meinem Reisebus. Es ist mehr eine Shuttlereihe, denn wie im Vorjahr verlassen gleich vier volle Busse von Rofan-Reisen den noch friedlich schlummernden Ort Pertisau. Ich sitze im letzten Bus, aber dafür in der ersten Reihe. Es folgt eine entspannte 75-minütige Autobusfahrt über Innsbruck und Seefeld nach Scharnitz. Das ist jener Ort, wo der Karwendelmarsch seinen Ausgang hat. Auf der Fahrt hier her hat es kurzzeitig geregnet, doch als ich ankomme, hat sich der kleine Schauer verflüchtigt.

Im Startgelände treffe ich dann auf erneut auf Emil, Denise, Marion und Berndt. Aber auch Karin ist dabei und wartet im Startgelände auf den Beginn dieser Tour. Und hier kommt es auch zum ersten Realtalk mit meinem niederländischen Freund Reymond Vogelaar, der extra angereist war, um beim Karwendelmarsch zu starten. Die Idee dazu kam ihm von meinem Bericht aus dem Vorjahr. 
Wir sind alle so sehr im Gespräch vertieft, dass wir sogar den Startschuss via Kanone verpassen. Besser gesagt erschrecken wir regelrecht daraufhin. Doch nun geht es los. Die Gruppe formiert sich noch einmal zu einem gemeinsamen Foto, und dann geht es endlich los mit dem Karwendelmarsch 2017.

Kurz vor Sonnenaufgang treffen wir einander wieder

Ein Großteil der großen Crew startet das Projekt Karwendelmarsch 2017

Abschnitt Scharnitz zum Schafstallboden auf 1.173 Höhenmeter / 0 bis 9,6 Kilometer

Lydia, welche wie Willi und Wolfgang dieses Jahr leider nicht im Start war, hatte uns im Vorfeld noch gewarnt. Startet im vorderen Drittel, hat sie gesagt. Und sie hat recht. Ab 6:00 möchten an die 2500 Menschen gleichzeitig über den Einstieg in das Karwendeltal in Richtung Schafstallboden aufbrechen. Es gibt hierfür aber nur einen Forstweg. Wir haben es also verabsäumt uns nach vorne zu drängen und starten somit alle im hintersten Bereich des Teilnehmerfeldes. Es gibt zwar eine brutto/netto Zeitwertung, aber wenn man mal eben das Feld von hinten aufräumen will, so kann man dies vergessen. Die ersten Kilometer über den Einstieg nahe der Scharnitzer Alm kommen wir nur im Gänsemarsch voran. Erst am Ende der Via Alpina, auf der Höhe des Karwendelsteigs, lichtet sich das Teilnehmerfeld etwas und es gibt endlich mehr Platz zum Überholen. Die Gruppe trennt sich. Emil versucht gleich in die Spur zu kommen. Berndt und Denise suchen ihr optimales Tempo. Marion und ich beschließen die ersten freien Bahnen zwischen den Teilnehmern zu nutzen, um mit lockeren Laufpassagen vorwärts zu kommen. Dies alles aber noch sehr bedacht.

Und da überholt mich ein jüngerer, gut gelaunter, Läufer, der mich fragt, ob ich auch in diesem Jahr wieder ein Karwendelmarsch-Video machen würde. Ich bin ganz überrascht das mich jemand erkannt hatte. Natürlich bestätige ich dies und freue mich darüber.
Meine Crew und ich sind gut drauf und wir treffen einander noch einmal bestens gelaunt bei der ersten Labestation beim Schafstallboden. Emil zieht gleich wieder weiter. Denise hat ihren Rhythmus gefunden und hält sich nicht lange auf. Marion, Berndt und ich marschieren locker weiter.

Kurz vor dem Schafstallboden

Abschnitt Schafstallboden von 1.173 zum Karwendelhaus auf 1.771 Höhenmeter / von 9,6 auf 18,2 Kilometer

Langsam kommt die Sonne hervor und es wird merklich wärmer. Marion und ich haben uns leicht von Berndt abgesetzt und joggen wieder einige Meter entlang der Strecke. Marion und ich sind beide nicht ganz fit, aber bei ihr ist die Erkältung noch ziemlich akut, während sie bei mir ja schon fast abgeklungen ist. Sie hat einen recht praktischen Rucksack. Dort kann sie ihre und meine zusammengeklappten Teleskopstöcke verwahren. Doch irgendwie gibt es kurz Probleme damit und Berndt überholt uns. Marion stellt ihren Rucksack richtig ein, dreht sich dann jedoch zu mir, und fordert mich auf, ich solle ohne sie weiter gehen und mein eigenes Tempo marschieren. Da ich heuer ja kein zeitliches Ziel, und damit keinen Stress habe, frage ich sie 3x ob das für sie auch wirklich in Ordnung ist. Mit einem symbolischen Hinterntritt schickt sie mich hinfort und ich bin erstmals bei diesem Bewerb nun auf mich gestellt.

Meine Schritte nehmen sogleich Fahrt auf, denn ich weis, das schon bald der Anstieg zum Karwendelhaus folgen würde, und beim Bergmarschieren auf Zug - das ist kein Geheimnis - bin ich nicht so stark. Ich überhole Berndt und laufe ein kleines Stück, bis ich beinahe Denise übersehen hätte. Sie ruft mich für einen Moment zurück. Wir unterhalten uns kurz, aber dann beschließe ich, weiter Tempo zu machen. Am Beginn des Schlauchkargrabens, jener Teil, wo der Anstieg zum Karwendelhaus hinauf beginnt, werde ich erneut von zwei weiteren netten Teilnehmern aufgrund meines Karwendelmarsch-Videos von 2016 angesprochen. Ich unterhalte mich ein bisschen mit dem coolen Jungen und dem toughen Mädl und höre wie eine etwas ältere und total sympathische Dame, welche einige Meter vor uns marschiert, das sie mich ebenfalls erkannt hatte, aber auch aufgrund meiner Wanderberichte für Ich, am Weg. 
Ich fühle mich sehr Wohl in diesem Moment, denn so etwas ist mir noch nie passiert. Wow!

Doch dann geht es weiter über die etwas steilere steinige Serpentinstraße hinauf zum Karwendelhaus. Als ich auf meinen zurückgelegten Weg hinabblicke, erkenne ich Marion, die im zügigen Tempo immer mehr Meter auf mich gut macht. Boah! Ist das stark! Sie erinnert mich unfreiwillig an Willi Pernold, der bergauf ebenso gut und zügig dahin schreitet. Wie bei Willi im Vorjahr, rette ich meinen Vorsprung bis zur Labestation, doch dann hat sie mich wieder eingeholt. Sie hatte inzwischen Berndt und Denise eingeholt und war nun wieder richtig gut drauf. Wir stärken uns und beschließen nun den Weg gemeinsam fortzuführen.

Westwert vom Karwendelhaus wartet eine geniale Aussicht

Abschnitt Karwendelhaus auf 1.771m zum kleinen Ahornboden auf 1.399m / von 18,2 auf 24,2 Kilometer

Nun folgt jenes Stück, welches für mich normalerweise das Entspannteste ist. Der Abstieg vom Karwendelhaus bis zum kleinen Ahornboden. Warum? Der Weg hinab führt über einen Kiesweg, der wie eine Zubringerstraße hinab führt. Diese verläuft fast gleichmäßig und seicht bergab. Nach dem Hochalmsattel beschließen wir nun, wieder ein kleines Stück zu laufen. Im letzten Jahr war ich hier mit Willi nahezu die ganze Strecke bergab gelaufen, fast ohne Ausnahme. Das versuche ich auch mit Marion, aber da merke ich bereits, das es für mich in diesem Jahr einfach nicht so laufen wird. Mir fehlt einfach die Kraft um den Lauf aufrecht zu halten und mache immer wieder einmal kurze Gehpausen. Ständig im Hinterkopf, ich müsse noch Energie für den nächsten Aufstieg sparen. Marion tut es mir gleich. Auch sie würde viel lieber die Laufpassagen länger halten, tut dies aber nicht. Auch hier ist der Respekt vor einem dramatischen Energieabfall zu groß.

Doch egal, wir bleiben zusammen und pushen uns gegenseitig. Das funktioniert ganz gut mit uns beiden. Der positive Antrieb bleibt bestehen. Und gerade als ich Marion auf die nächste Etappe vorbereiten will, werde ich erneut erkannt und angesprochen. Marion wird gleich einmal zu meiner persönlichen Agentin gemacht, die mich sicher durch das Karwendel begleitet und meine Aktivitäten aufzeichnet. *haha* 

Wir scherzen ein klein wenig herum, haben recht viel Spaß mit der kleinen Gruppe, und erreichen so gut gelaunt den kleinen Ahornboden. Es wird wieder Zeit für eine kleine Stärkung. Denn nun ist das entspannte Stück leider zu Ende. Von nun an geht es bergauf. Und zwar mächtig.

Marion und ich beim untern Ahornboden

Abschnitt kleiner Ahornboden von 1.399m zur Falkenhütte auf 1.848m / von 24,2 auf 30,2 Kilometer

Oh ja, ich weis, was jetzt kommt! Und mir graut schon ein wenig. Schon in den letzten beiden Jahren war der Aufstieg zur Falkenhütte für mich ein riesiger Kraftakt gewesen. Auch im letzten Jahr, als ich in Topform war. Nur in diesem Jahr haben wir einen Vorteil. Einige Wolken ziehen auf. Sie lassen zwar die Berge des Karwendels gänzlich ergrauen, doch dafür halten sie die Sonne ab. Das kann und wird ein großer Vorteil sein.

Doch zunächst marschieren Marion und ich also über das große leere Bachbett des Johannesbach und erreichen so den Steig durch den Sauisswald. Diese kleine Schlaufe durch den Wald führt immer stetig hinauf, bis wir schließlich die Ladiz-Alpe erreichen. Und ab hier ist es leider vorbei mit dem Schutz der Bäume. Ab hier gibt es nur noch freie Bergwiesen. Die Wolkenfelder ringen mit der Sonne. Die Luft steht, doch die Sonne brennt nicht so erbittlich herab wie in den letzten Jahren. Dieses Stück ist für mich immer wieder enorm schwierig zu bewältigen und meine Akkus entladen sich rasend schnell. Ich kann zwar mein Tempo halten, doch es ist mehr als langsam. Marion tut sich leichter. Man merkt ihr an, dass sie heuer schon einige Höhenmeter in den Beinen hat. Sie ist stets 5-10 Meter vor mir, dreht sich um, schaut, wo ich bleibe. Es ist nicht so, dass ihr dieser Aufstieg gar nichts ausmacht, aber sie kann einfach ein viel schnelleres Tempo einlegen als ich. Nach der Ladiz-Alpe folgt dann eine Querfeldeinvariante, direkt zur Falkenhütte. Diese ist aber ebenso brutal. 

Kurz davor müssen wir uns noch einmal stärken. Wir setzen uns in die Wiese und schnaufen einmal durch. Plötzlich kommen zwei nette Mädels und sprechen mich an. Sie haben ebenfalls mein Karwendelmarsch 2016 Video gesehen. Ein, genau so erschöpfter, Herr links von uns schließt sich dem Gespräch an und erklärt mir, er habe ebenfalls dieses Video gesehen. Obwohl ich also erschöpft im Gras sitze und meine Energiezellen auflade, strahle ich mit der Sonne um die Wette. Es ist jetzt schon so unglaublich toll.

Nun mobilisieren Marion und ich unsere letzten Kräfte und schleppen uns diese Bergwiese hinauf bis zur Falkenhütte auf 1.848 Meter und freuen uns dieses Etappenziel endlich erreicht zu haben. Es war wieder eine Monsteraufgabe, doch zusammen haben wir das gut gemeistert.
Bei der Labestation gibt es dann eine kleine Überraschung, denn wir treffen wieder auf Emil. Er war aber schon etwas länger bei der Labestation gewesen und war gerade dabei seinen Weg fortzusetzen. 

Marion hat nun einen Entschluss gefasst. Sie wird den Karwendelmarsch bei der Engalm nach 35 Kilometern beenden. Ich blicke in den ergrauten Himmel und spiele auch ernsthaft mit den Gedanken, es bei der Engalm bleiben zu lassen. Allerdings aufgrund des vorhergesagten Gewitters, welches vom Südwesten über das Karwendel ziehen sollte. Ein Gewitter in den Bergen ist nicht gerade das Erstrebenswerteste.
Doch das spielt jetzt noch nicht unbedingt eine Rolle. Nun wird erst einmal eine ausgiebige Pause eingelegt. So rastete Marion und ich bei der Falkenhütte und gönnten uns dort je eine große Cola. Und Cola, das lehrte mich auch schon Willi im Vorjahr, ist bei so einem Marsch die beste Medizin. *hihi*

Das traditionelle Werbegams-Foto vor der Falkenhütte (www.werbegams.at)

Marion, Emil und ich bei der Falkenhütte

Abschnitt Falkenhütte auf 1.848m zur Engalm auf 1.227m / von 30,2 auf 35 Kilometer

Es folgt, wie jedes Jahr an der gleichen Stelle, das absolute Highlight des Karwendelmarschs. Nämlich der Marsch entlang der Lalidererwand. Die höchste Erhebung der Lalidererwand ist die Dreizinkenspitze auf über 2600 Meter. 
Es folgt zunächst ein Abstieg bis an die Füße der mächtigen Felswand. Dann folgen wir dem schmalen Steig durch Fels und Geröll. Es ist, wie immer, unglaublich. Man blickt auf Tonnen von Gestein und ist selbst, vor dieser Wand, so klein wie eine Ameise. Hier bringe ich Marion leider etwas aus dem Rhythmus, weil ich den kurzen aber knackigen Aufstieg zum Hohljoch vergessen hatte. Ich dachte mir, nach der Lalidererwand geht es gleich hinab zur Engalm, aber da ist natürlich das Hohljoch noch dazwischen.

Doch Marion kommt gar nicht dazu mich zu Würgen *gg*, da neben uns erneut ein Mitsportler fragt, ob ich der Kerl aus dem Karwendelmarsch 2016 Videos wäre. Es ist wirklich sensationell!
Doch langsam mache ich mir so meine Gedanken über die immer dichter werdenden Wolken aus dem Westen. Ich frage bei einem Posten, der stets gut positionierten Bergrettung, nach, wie sich das Wetter in den nächsten Stunden verhalten wird. Als Antwort bekomme ich nur, das es unbeständig bleibt. Es könnte gut sein, dass es in der Engalm schon regnet. Es kann aber auch sein, dass sich der Wolkenstau in den Bergen verfängt. 

Marion ist schon guter Dinge, denn sie ist ihrem heutigen Ziel schon sehr nahe. Der Abstieg zur Engalm ist auch nicht gerade leicht, obwohl er mir in diesem Jahr nicht so streng vorgekommen ist. Er ist immer noch schmal, brüchig, steinig und teils von Wurzeln durchzogen. 
Letztendlich erreichen wir aber doch gut gelaunt die Engalm und Marion holt sich ihre Medaille ab. Sie überlegt zwar kurz, ob sie nicht doch den die ganze Strecke marschieren soll, doch sie lenkt schließlich ein. Ich habe ihr vom Hohljoch schon den nun bevorstehenden Gramai Hochleger und den Binssattel gezeigt, und es sieht von hier aus wirklich schon ziemlich brutal aus. 

Ich frage bei der Labestation noch einmal nach dem Wetter. Ich habe Angst mitten am Binssattel, und der liegt doch auf über 1900 Höhenmetern, in ein Gewitter zu geraten. Das ist auch nicht unbedingt ungefährlich. Die Antwort ist zwar immer noch nicht ausreichend für mich, doch ich sehe wie viele andere Teilnehmer nach wie vor den Aufstieg wagen. Ich denke mir, würde der Veranstalter mit einem bösen Wettersturz rechnen, dann hätte er hier die Teilnehmer nicht mehr weiter geschickt. Und somit nehme ich die Hände in die Hand und beschließe, wie schon die beiden Jahre zuvor, weiter zu gehen.

Ich verabschiede mich von Marion, die mir wirklich sehr geholfen hat, und setze meinen Weg fort. Während Marion nun auf ihren Shuttlebus nach Pertisau wartet, marschiere ich nun weiter hinauf in Richtung Binsalm.

Die steinerne Wand als Weg in Richtung Engalm

Abschnitt Eng Alm auf 1.227m über die Binsalm auf 1.502 und dem Gramaisattel mit 1.902m zum Gramai Hochleger auf 1.756m
von 35 auf 41,5 Kilometer

Für die meisten Teilnehmer der 52 Kilometer Distanz ist dieser Abschnitt wohl der mit Abstand anstrengenste Abschnitt der gesamten Tour. Man muss sich das einmal vorstellen. Binnen 6 Kilometer werden über 700 Höhenmeter zurückgelegt. Der erste Aufstieg zur nächsten Labestation bei der Binsalm ist ja noch relativ leicht. Er zieht sich zwar etwas, aber im Grunde kommt man sehr solide vorwärts.
Doch nach der Binsalm geht es dann los mit dem "Nemesis" Wegstück. Ich stärke mich bei der Binsalm und rede mir immer wieder ein, dass, wenn ich den Binssattel erreicht hätte, es nur noch bergab ginge. Dann, und so kann es sich schon auch anfühlen, hätte man schon einen Fuß in der Ziellinie. 

Doch der Aufstieg zum Sattel ist, wie jedes Jahr, ein wahrer Kampf. Irgendwo habe ich ja Glück. Die Sonne hat die Wolkendecke besiegt, knallt jedoch wieder einmal brutal gegen den steilen Hang. Plötzlich ist es wieder heiß, plötzlich läuft mir wieder ständig der salzige Schweiß in die Augen und plötzlich merke ich, das ich doch schon ziemlich müde bin. 
Aber dadurch das ich schon weis, was mich erwartet, ist es etwas weniger schlimm für mich. Schließlich erreiche ich die schmale Stufe des Binssattels auf 1.902 Meter und mache einmal eine kurze Verschnaufpause. Die braucht man einfach, wenn man hier oben ankommt. Aber wenn ich mich so umsehe, geht es nicht nur mir so. 

Nun folgt der steile Abstieg zum Gramai Hochleger. Hier wartet die nächste Labestation auf mich. Ich kippe mir gleich einmal einen kühlen Kübel Wasser über den Kopf. Das musste jetzt einfach sein. Dann stärke ich mich noch einmal. Mittlerweile setzt schon ein gewisses - ich habe es geschafft - Gefühl ein.

Der berüchtigte Aufstieg über den Binssattel

700 brutale Höhenmeter von der Engalm bis zum Binssattel auf 1902 Meter

Abschnitt Gramai Hochleger auf 1.756 hinab zur Gramai Alm auf 1.263 und weiter über die Falzturn Alm auf 1.098m ins Ziel nach Pertisau
von 41,5 auf 52 Kilometer

Der Abstieg vom Gramai Hochleger hinab zur Gramai Alm ist doch auch mit Vorsicht zu genießen. Im Vorjahr bin ich hier mit Willi den Berg runter gerast. Heuer denke ich mir, wie bitte habe ich das gemacht? Zeitweise ist der enge Steig richtig steil und schwierig.
Doch ich besinne mich alter Tugenden und setzte zum Laufschritt an. Das klappt eigentlich ganz gut, doch dann treffe ich erneut auf die beiden Mädels, welche ich schon vor der Falkenhütte getroffen hatte. Ich reduziere also das Tempo und plaudere wieder ein bisschen mit ihnen. Wir erreichen noch gemeinsam die Gramai Alm, wo sich schließlich unsere Wege wieder trennen.

Das Gewitter kommt nun doch!

Und dann hebt sich mein Blick in den Südwesten. Ein riesiger Schatten zieht sich über das Gramai und Falzturntal. Binnen weniger Minuten ziehen dunkelgraue Wolken über den Gramai Hochleger auf und verdichten sich sehr rasch. Die Luft verändert sich. Sie steht! Das Gewitter! Es kommt! 
Ich lege also erneut Laufpassagen ein und schreite voran bis zur Falzturn Alm. Von hier sind es noch starke Kilometer bis zum Ziel in Pertisau. Inzwischen habe ich auch wieder Netzempfang am Smartphone. So erfahre ich, wie es den anderen ergangen ist. Emil war schon beinahe im Ziel. Denise und Berndt hatten es bis zur Engalm geschafft. Gott sei Dank hatten sie den Lauf für sich schon beendet, denn die diese Gewitterfront hinter mir wird immer dichter und ich höre bereits den Donner, welcher im Gebirge noch viel düsterer und lauter erklingt.

Ab der Falzturn Alm blicke ich fast minütlich zurück, denn man kann bereits sehen wie über den Hochleger die Regenschwaden hereinbrechen. Nun heißt es aber wahrlich Hände in die Hand nehmen und rennen. Als ich Pertisau erreiche, ist der Himmel über mir bereits zugezogen. Ich sprinte die letzten Meter und erreiche nach 12 Stunden und 4 Minuten das Ziel. Doch zum Freuen bleibt nicht viel Zeit, denn der Regenschauer setzt ein.

Der steile Abstieg zur Gramaialm beginnt

Gewitter über Pertisau bei meiner Ankunft

Endlich im Ziel:

Es ist geschafft. Mit meiner Medaille um den Hals marschiere ich ins Finisherzelt und gönne mir ein alkoholfreies Bier. Dort treffe ich auch wieder auf Marion, Denise und Emil. Berndt sitzt zu diesem Zeitpunkt noch im Transferbus von der Engalm nach Pertisau.
Hier werde ich erneut von einem weiteren Finisher angesprochen und wir unterhalten uns über den Bewerb. Meine Freunde verabschieden sich nun von mir, denn sie müssen mit dem Shuttlebus wieder zurück nach Seefeld. 

Zu jener Zeit, als ich das Zielareal erreiche, ist in diesem Jahr nicht mehr so viel los. Teilweise wird auch schon abgebaut. Aber das ist logisch, denn es regnet nun in Strömen und viele Finisher haben sicher bereits die Heimreise angetreten. 
Mein Quartier, das Hotel Alpenrose, befindet sich ja nur 50 Meter neben dem Zielareal. Ich ziehe mich als in mein Zimmer zurück und versuche gleich einmal meine Leistung von heute zu analysieren. (Mehr dann im Fazit)

Dann bekomme ich eine Nachricht von meinem niederländischen Freund Reymond Vogelaar, der eben das Ziel erreicht hatte. Ich kehre also noch einmal ins Zielareal zurück und verbringe noch einige lustige Momente mit Reymond, seiner Familie und seinem Laufpartner. Wir stoßen auf unseren Erfolg an. Die letzten Läufer erreichen das Ziel knapp vor der 14 Stunden Marke. Der Regen hatte sich inzwischen wieder gelegt. Das sind Helden für mich, denn sie mussten wohl im Gewitter über den Binssattel marschiert sein. Das ist ziemlich hart. 

Dann war es das mit dem Karwendelmarsch 2017 gewesen, denn meine niederländischen Freunde und ich sind so ziemlich die Letzten die noch im Finisherzelt hocken, als bereits begonnen wird, auch dieses abzubauen. Reymond und Co. verabschieden sich nun von mir und ich ziehe mich endgültig in meine Unterkunft zurück.

4 Kilometer Zielsprint wegen Gewitter

Ich und meine Medaille


Fazit:

12 Stunden 4 Minuten
Das war meine erreichte Zeit. Damit war ich 43 Minuten langsamer als im Vorjahr. Damit habe ich, wie erwartet, meine Bestzeit nicht gepackt. Muss ich jetzt traurig sein? Nein! Denn das ist eine Hammerzeit! Die ist wesentlich besser, als ich es mir zugetraut hätte. 2015, bei meinem ersten Karwendelmarsch, hatte ich 12 Stunden und 27 Minuten gebraucht. Eine schöne mittelmäßige Punktlandung. 
Ein Start in der ersten Reihe, längere Laufpassagen und kürzere Pausen (wie zb. bei der Falkenhütte), und es wäre möglich gewesen, die 11 Stunden 21 Minuten anzukratzen. Aber lassen wir dieses Denken am Besten sein, denn genau das war ja nicht mein Ziel an diesem Tag. 

Nach meiner grauenhaften Grippeinfekt-Woche, bin ich sehr glücklich, das ich es gesundheitlich soweit hinbekommen habe, den Marsch durchzustehen. Ich habe mich, trotz Anstrengung, immer gut gefühlt und musste keine einzige Sekunde nachdenken, ob es sinnvoll wäre aufzuhören. Da kann ich echt nur "Danke" sagen. Aber jetzt bleibt mir die Zeit mich ausgiebig zu erholen. 

DANKE SAGEN -
Das muss ich all jenen sagen, die mich auf der Strecke erkannt und auch angesprochen haben. Ich habe mich wirklich extrem gefreut. Zeitweise war das so wie in meiner Kindheit, wenn man sich auf die Bescherung zu Weihnachten freut. 
Ich führe meinen Blog nun seit 5 Jahren und immer wieder stoßen neue begeisterte Freunde hinzu, aber ich wurde noch nie direkt angesprochen. Das war neu für mich. Und ich finde das klasse. Ich freue mich über jedes Feedback oder jede Kritik. Ich freue mich über jedes gewechselte Wort. Ich würde mich schon als kommunikativ bezeichnen. Darum, wenn ihr mich einmal irgendwo erspäht, dann sprecht mich ruhig an. 
Ich hoffe, es ist ok, oder ist mir niemand böse, dass ich noch vor Ort Clips von Euch aufgenommen und im Clip verwendet habe. Ich war so erstaunt, dass ich gar nicht gefragt habe, ob das für Euch ok ist. Ich kann nur hoffen, dieses neue Video wird uns allen gerecht, und ihr habt viel Freude daran.

Im nächsten Jahr bin ich ja wieder am Start, und eventuell überlege ich mir ein Karwendelmarsch-Treffen am Vortag in Scharnitz. Das wäre doch eine tolle Sache um sich vorher auszutauschen, bzw. sich nach langer Zeit wieder zu sehen. Mal sehen, also da können wir sicher etwas auf die Beine stellen.

Und wo wir schon beim nächsten Jahr sind...
Dort bin ich wieder am Start. Und diesmal, sofern alles gut verlaufen würde, hole ich mir meinen persönlichen Streckenrekord. Und eines ist mir auch beim Marsch wieder klar geworden. Kein Karwendelmarsch ohne den Karwendelkiller. Er ist mir einfach ans Herz gewachsen.

Zum Abschluss möchte ich auch meine eigentliche Lauf und Walking Freunde zu ihren persönlichen Leistungen gratulieren. Ich mache das hiermit pauschal, denn jeder hat für sich die bestmöglichste Leistung raus geholt. Und nur darum geht es. Ich habe auch schon gehört, also man munkelt, das einige davon auch im nächsten Jahr wieder an den Start gehen werden. Das freut mich. Ich glaube, der Magie des Karwendels kann man einfach nicht entrinnen.

Es gibt viele tolle Lauf, Walking und Marschbewerbe. Aber den Karwendelmarsch, den gibt es nur einmal auf dieser Welt.

 

Impressionen:

Videoclip:

Pertisau am Achensee

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